PLANETARE ETHIK

Vortrag gehalten am 08.06.2021 in der Pauluskirche auf Einladung der PSR / IPPNW Schweiz.

Ich rede im Folgenden von der Organisation «International Physicians for the prevention of nuclear war». Die Organisation wurde 1980 von Dr. Bernard Lown, dem Erfinder des Herz-Defibrillators, zusammen mit seinem russischen Kollegen Dr. Chazov gegründet. Es gelang dieser Organisation die damals zu wenig ernst genommenen medizinischen Folgen der totalen Verstrahlung durch einen atomaren Krieg bewusst zu machen, wofür ihr 1985 der Friedensnobelpreis vergeben wurde, ein wichtiges Signal an die ganze Welt.

Die Organisation befolgt als ethische Grundlage die Vorgaben des Weltärztebundes, welcher dem hippokratischen Eid verpflichtet ist. Der damalige Schutz der Weltbevölkerung vor dem Ausbruch eines atomaren Weltkrieges wurde auch durch diese grundlegenden Prinzipien der medizinischen Ethik gewährleistet.

Mit der rasanten Entwicklung von Wissen multiplizieren sich die technologischen Bedrohungen, sei es durch atomare Technologie, Klimawandel, künstliche Intelligenz und Biotechnologie, Technologien mit «dual use», wo die korrekte Abwägung zwischen potentiellen Nutzen und Schaden für die Menschheit überlebenswichtig sein wird.

Heute, nach den unbestreitbaren Erfolgen dieser Organisation, stellt sich die Frage, mit welchen Methoden die genannten Bedrohungen verhindert werden können. Schauen wir die ethischen Grundlagen zur friedlichen Atomtechnologie mit utilitaristischer Ethik an, finden wir in der Literatur keine Ablehnung der Atomtechnologie trotz ungelöstem Abfall- und Verstrahlungsproblem. Der Utilitarismus reduziert mitunter Erwägungen des Individuums darauf, dass Atomkraft die Menschen glücklich macht, weil sie sauberen Strom liefert. 

Aus Sicht der Organisation sind solche ethischen Erwägungen verantwortungslos. Der medizin-ethische Grundsatz des nicht schaden Sollens, insbesondere die Vermeidung von Schäden aus irreversiblen toxischen Technologien ist zentral wichtig.  Allerdings wirkt diese Tugendethik auf der Mikroebene der Arzt-Patienten Beziehung. Kann sie Antworten auf der planetaren Ethikebene geben?

Selbstverständlich können wir auch heute davon ausgehen, dass die meisten Menschen ethisch korrektes Handeln wollen.  Oder, um es mit den Worten von Martin Vosseler, dem Begründer der IPPNW Schweiz in Basel, zu sagen: «Wenn sich solches Bewusstsein ausbreitet und die ganze Menschheit erfasst, könnte die Wende zu einem erdverträglichen Leben gelingen».

Mit dem Philosophen Hans Jonas verfügen wir heute über einen Pionier der Bio- und Medizinethik. Doch Jonas bezeichnet die Wissenschaft als wertneutral und überfordert, um korrektes ethisches Handeln abzuleiten, da die Dinge unvorhersagbar seien. Seine teleologische Metaphysik mit seiner Unheilsprophezeiung geht einher mit der Vorstellung, dass die Furcht vor der Zerstörung der Menschheit zu züchten sei, um das Verantwortungsgefühl stärker werden zu lassen, also nach dem Prinzip «in dubio pro male»: im Zweifel ist «es» schlecht. Dieses Bewahrungsprinzip kann aber zu einer Notstandsethik verkürzt werden, wo eine rationale Auflösung ethischer Fragen nicht mehr geleistet werden kann.

Die Frage, ob eine Technologie akzeptiert werden kann, ist von keinem Individuum mit ausreichender Sicherheit zu beantworten, weil die Fragestellungen zu komplex sind. Komplexe Fragen müssen durch intersubjektive Aggregate, welche ein Universalwissen verkörpern, geleistet werden. Erst auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse betreffend die Toxizität neuer oder bekannter Technologien können ethisch richtige Entscheide auf planetarer Ebene hergeleitet und verstanden werden.

Die Frage des Verhaltens von Individuen verschiedenster Fachrichtungen untereinander zwecks Ausarbeitung ethischer Grundlagen im Rahmen von planetaren Ethikprojekten wurde von Diskursethikern wie Apel und Habermas erarbeitet. Grundlage ist hier in jedem Fall die Kommunikation von dem was «wahr» ist im Sinne eines Konsensus darüber, was gemäss Stand des heutigen Wissens zweifelsfrei wahr ist. Beispielsweise sollte die Roboter-Arbeit generell, aber besonders am Beispiel des Tötungsroboters als intelligente Waffe in den Diskursen solcher Gremien beurteilt werden. Dank der Zusammenarbeit mit Forschern, Entwicklern und Gesetzgebern sollen die Gefahren des Missbrauchs aufgezeigt und die Technologie entsprechend weltweit verboten und geächtet werden. Forscher und Ingenieure im Bereich der künstlichen Intelligenz sollten den doppelten Verwendungszweck ihrer Arbeit ernst nehmen, damit schädliche Forschungsprioritäten und -normen erkannt werden und sie sollen sich proaktiv an relevante Akteure wenden, wenn schädliche Anwendungen erkennbar sind.

Trotz der genannten Bedrohungen der Natur und der Menschheit ist es noch nicht zur unumkehrbaren Katastrophe gekommen. Dabei darf nicht aus den Augen verloren gehen: Wie wir miteinander umgehen, ist kein nice to have, sondern die Grundlage unseres Zusammenseins. Wir sehen dies in der Frage der Algorithmen der sozialen Medien, die ohne Regulation durch die Ethik Gefahr laufen, uns als Gesellschaft zu spalten und gegeneinander aufzuwiegeln. Es besteht also Hoffnung, dass die ethischen Grundlagen der Menschheit das schlimmste verhindern können. In den zahlreichen Approximationen und heuristischen Methoden zur Bewältigung künftiger Krisen ist die Erstellung wahrer wissenschaftlicher Inhalte indessen eine Voraussetzung, welche unbedingt erfüllt sein muss.

Das Ergebnis dieser Bemühungen kann aber durch Störfaktoren verfälscht werden. Uns bekannte Störfaktoren werden durch beliebige ökonomische Modelle erzeugt, deren Evidenzgrundlagen zu häufig inexistent sind. In der Medizin werden ökonomische Modelle verwendet, welche den Wert des Lebens mit 8500 Fr. beziffern, womit eine kosteneffektive Therapie in ihr Gegenteil verdreht wird. Beispiel ist der Statinbericht des Swiss Medical Board aus dem Jahr 2014. Folge war eine Behauptung fehlender medizinischer Kosteneffektivität durch ein medizinisches Bioethik-Institut in Zürich. Dieses und andere Beispiele, die wir aufgedeckt haben, zeigen die Vulnerabilität der Ethik und ihrer Appraisals, indem problematische Ökonomie-Modelle falsche Ethikentscheide zur Folge haben. Werden solche ökonomischen Interventionen in der Medizin installiert, wird im Effekt das Leben der Menschen verkürzt, Alte, Kranke und Behinderte werden diskriminiert und die Krankheiten expandieren, mit zusätzlichen Kostenfolgen.

Die Atomtechnologie hat zur Entwicklung des internationalen Netzwerkes der International Physicians for the prevention of nuclear war geführt. Diese Internationalität ist eine Voraussetzung für planetare Ethik. Mit den moderneren Bedrohungen der Menschheit ist eine erweiterte Aufgabenstellung für das Netzwerk dieser Bewegung wohl notwendig. Es sind die Ärztinnen und Ärzte auf dieser Welt, die die glaubwürdigsten Grundlagen mitbringen, ethische Grundsätze einzufordern. Eine Intensivierung der Arbeit dieser Bewegung scheint mir deshalb dringend notwendig. Es braucht jedoch dazu eine klare ethische Positionierung und eine vermehrte Überzeugungskraft beim Rekrutieren neuer Mitglieder. Denn Ärztinnen und Ärzte haben nicht nur eine hippokratische, sondern auch eine planetare Verantwortung. Ethik hat zweifelsohne und muss die Geschicke dieser Welt weiterhin beeinflussen, die Grundlagen sind vorhanden und wirksam, die Störfaktoren für das Funktionieren einer konsens-basierten Ethik – insbesondere durch falsche ökonomische Modelle – müssen jedoch besser erkannt, besser eliminiert und vielleicht sogar besser sanktioniert werden.

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