Der immer kräftiger werdende Ageism

Michel Romanens   l   Juli 2023:

Die Gesundheitsversorgung gerät unter Druck. Jüngstes Beispiel dazu das Interview der Vorsitzenden und Ärztin Alena Buyx des deutschen Ethikrates im Spiegel vom Juni 2023 (1). Frau Prof. Buyx redet gleich eingangs vom «immensen Kostendruck», welcher 13% des BIPs ausmacht. Sie fordert deshalb, die vorhandenen Mitte optimal einzusetzen. Dazu sei die Kosteneffektivität zu verbessern, wie das in anderen Ländern bereits praktiziert würde: gerechte Priorisierung. Sie moniert, dass weniger Bürokratie die Effizienz des Gesundheitswesens verbessert, dass den Patentschutz für Medikamente verkürzt werden könnte und dass die Versorgungssicherheit nur über höhere Preise für Personal, Medikamente und Medizinprodukte zu haben sei. Deshalb die Frage, was soll die Medizin leisten? Was ist das Behandlungsziel? Wie können die vorhandenen Mittel besser verteilt werden? Die Empfehlung lautet: «Man soll die Frage stellen, wie lässt sich Lebensqualität verbessern, wie sieht die Gestaltung eines guten Lebens aus, und wie sieht gutes Sterben aus?» Denn die Versorgung von Menschen am Lebensende koste «irrsinnig viel Geld».

Frau Prof. Buyx positioniert sich als normative Ethikerin, die im wesentlichen Sparmöglichkeiten bei alten Menschen am Lebensende sieht, wo die Lebensqualität, wie sie auf eine Person projiziert wird, also normative und nicht mehr subjektive Lebensqualität. Damit ist offenbar die aktive Sterbehilfe gemeint. Voraussetzung für eine solche Norm ist der wissenschaftliche Nachweis, dass es stimmt, dass die medizinische Versorgung am Lebensende ohne Verbesserung der Lebensqualität «irrsinnig viel Geld» kostet, dass der Nachweis erbracht wird, wieviel Geld mit einer solchen Norm tatsächliche gespart werden kann, wie Lebensqualität reproduzierbar gemessen werden kann und ob damit tatsächlich eine bessere Verteilung der vorhandenen Mittel erzielt wird. Da Frau Prof. Buyx es unterlässt, auf solche Studien hinzuweisen, muss man davon ausgehen, dass sie weder geplant noch durchgeführt werden. Frau Prof. Buyx erklärt somit die Lebensqualitäts-Norm als Kriterium für Kosteneinsparungen am Lebensende jenseits der subjektiven Lebensqualität zur neuen Norm für die Rationierung medizinischer Leistungen rein mit der ihr eigenen Logik der «irrsinnigen Kosten». Es ist unredlich, wenn wissenschaftlicher Nihilismus dazu verwendet wird, soziale Normen, welche dem Schutz der Individuen in der Gesellschaft dienen, durch «akzeptable Lebensqualität» als neue Norm ersetzt wird. Heutige bioethische «Forschung» betreibt damit offensichtlich auch hier die Wegbereitung für Sterbehilfeprogramme, wie sie bereits in Canada realisiert wurden (2).

Literatur

1.          Buyx Alena. Deutscher Ethikrat: Alena Buyx über Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt – DER SPIEGEL. Der Spiegel. Available at: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/medizinethikerin-alena-buyx-ueber-fragen-auf-die-es-keine-einfachen-antworten-gibt-a-b78fa514-a419-427d-8b6f-0063ba33e90c. Accessed July 2, 2023.

2.          Canada’s medical assistance in dying (MAID) law. Available at: https://www.justice.gc.ca/eng/cj-jp/ad-am/bk-di.html. Accessed July 2, 2023.